Glutenfrei: Ist eine Ernährung ohne Gluten für jeden gesund?

Essen gegen Depression

Das Image von Gluten ist angeschlagen. Es gilt als «ungesund», nicht nur für Menschen mit Intoleranz, sondern auch für Gesunde. Doch Studien belegen: Eine glutenfreie Ernährung hat für die Allgemeinbevölkerung keinen Nutzen (Croall et al., 2019) – sie birgt sogar Gefahren. Können wir uns Brot also bedenkenlos schmecken lassen? Jein, denn die Zahl derer, die an einer Glutenunverträglichkeit leiden, nimmt stark zu (Pronin et al., 2020).

Gluten ist ein Eiweiss, welches in den Samen vieler Getreidesorten vorkommt. Als sogenanntes «Klebereiweiss» sorgt es dafür, dass Getreidemehl beim Vermischen mit Wasser gut bindet und zu einem elastischen Teig wird. Gluten ist insbesondere in Weizen, aber auch in Gerste, Dinkel, Roggen und weiteren Getreidesorten enthalten. Hafer ist ein Spezialfall und wird meist besser vertragen. Menschen mit einer Unverträglichkeit reagieren auf Gluten.

Es können Symptome wie Durchfall, Bauchschmerzen oder Blähungen auftreten. Im Rahmen einer gesunden Ernährung greifen auch nicht Betroffene immer häufiger zu Lebensmitteln mit dem Label «glutenfrei». Ist das gesund? Oder gibt es nachteilige Effekte einer glutenhaltigen Ernährung, die erwiesen sind?

Zöliakie erkennen: Wenn Gluten krank macht

Bei der Zöliakie handelt es sich um eine vererbbare Autoimmunerkrankung (SGE, 2019). Die Aufnahme von Gluten löst bei Zöliakie-Patienten eine Entzündungsreaktion im Dünndarm aus. Nahrungsbestandteile können nur noch schlecht durch die Darmwand aufgenommen werden. Typische Anzeichen einer Zöliakie sind Durchfall, Übelkeit, Erbrechen und ein aufgeblähter Bauch. Hinzu können Müdigkeit, Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit und Muskelschmerzen kommen. Etwa ein Prozent der Schweizer Bevölkerung sind von einer Zöliakie betroffen (SGE, 2019). Für eine eindeutige Diagnose sind ein Bluttest und eine Dünndarmbiopsie nötig.

Übrigens: Die IG Zöliakie warnt vor Schnelltests aus dem Handel, die zu einem verzerrten Ergebnis führen können (IG Zöliakie der Deutschen Schweiz, 2018).

NCGS: Glutensensitivität ohne Zöliakie

Es gibt jedoch auch die Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität (Non-Celiac Gluten Sensitivity), die unter Fachleuten noch umstritten ist.

Dabei treten zwar Symptome beim Verzehr glutenhaltiger Nahrung auf, aber weder sind Antikörper gegen Gluten im Blut vorhanden noch ist die Darmschleimhaut beschädigt (SGE, 2019). Solche Reizdarmbeschwerden ohne Zöliakie-Nachweis treten immer häufiger auf (Pronin et al., 2020). Bei der Entstehung von NCGS ist sehr wahrscheinlich das angeborene Immunsystem beteiligt, wie eine Studie zeigt (Rotondi Aufiero, Fasano & Mazzarella, 2018).

Bei der klassischen Weizenallergie, einem weiteren Krankheitsbild, reagiert der Körper im Gegensatz zur Zöliakie und der Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität auf die im Weizen enthaltenen Proteine als Allergieauslöser.

Glutenfrei als Lebensstil

Label mit der Aufschrift «frei von» suggerieren, dass ein Lebensmittel allgemein besser für den Körper sei. 25,5 Prozent der befragten amerikanischen Erwachsenen glauben, glutenfreie Produkte sind gesünder als das konventionelle Lebensmittel und können Krankheiten vorbeugen (Priven et al., 2015). Bereits 2013 gaben fast 30 Prozent der Erwachsenen in den USA an, Gluten zu minimieren oder zu meiden – Tendenz steigend (Lebwohl et al., 2017). Und die Nachfrage an glutenfreien Lebensmitteln wächst weiter.

Denn in den vergangenen Jahren ist laut dem Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der TU München die Zahl der Menschen stark gestiegen, die tatsächlich an einer Zöliakie, Weizenallergie oder einer Gluten- oder Weizensensitivität leiden (Pronin et al., 2020). Der Trend nützt also den Betroffenen, weil das Angebot immer grösser wird. Fest steht: Glutenfreie Produkte sind teurer, oftmals weniger geschmackvoll als das Original – aber sind sie auch für jeden gesünder?

Übrigens: In der Schweiz gibt es zwei Gütesiegel, welche glutenfreie Produkte auszeichnen: das Schweizer AllergieGütesiegel und das Glutenfrei-Symbol der IG Zöliakie.

Ist «glutenfrei» für alle gesünder?

Glutenfreie Diäten haben an Popularität gewonnen, nachdem Studien darauf hinwiesen, Gluten könne Entzündungen fördern – auch bei Gesunden (Jamnik et al., 2015). Doch aktuelle Untersuchungen häufen sich, die zu dem Ergebnis kommen: Sofern keine der oben genannten Erkrankungen vorliegt, ist eine glutenfreie Ernährung nicht nötig und bietet keinen Zusatznutzen (Croall et al., 2019).

Das Gegenteil sei sogar der Fall, wie die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung betont. Denn glutenhaltiges Getreide ist ein wichtiger Nährstofflieferant. Wird glutenfrei gegessen, kann es zu einer schlechteren Versorgung mit Nährstoffen wie Nahrungsfasern, B-Vitaminen, Magnesium, Zink und Eisen kommen (SGE, 2019). Das Weglassen von Gluten kann zu Mangelerscheinungen führen, belegt auch eine Studie aus dem Jahr 2017. Die Ergebnisse zeigen, dass Menschen, die auf Gluten weitestgehend verzichten, auch weniger Vollkornprodukte essen. Das wiederum kann mit negativen Folgen für die Herzgesundheit verbunden sein (Lebwohl et al., 2017).

Frauen wollen glutenfrei essen

Die Zahl der Anhänger einer glutenfreien Ernährung ohne Zöliakie nimmt zu. Unter ihnen sind Untersuchungen zufolge vermehrt Frauen, hochgebildet, ehemalige Raucher:innen, haben im letzten Jahr an Gewicht verloren, Probleme mit der Gesundheit und infolgedessen die Ernährung umgestellt (Littlejohns et al., 2021).

Die glutenfrei Lebenden konsumierten hingegen seltener Alkohol, waren seltener übergewichtig oder fettleibig oder hatten Bluthochdruck. Insgesamt war der Gesundheitszustand bei ihnen jedoch schlechterer, Immunerkrankungen und Probleme mit der Verdauung waren häufiger als bei den Teilnehmer:innen, die Gluten konsumierten (Littlejohns et al., 2021).

Weniger Gluten lindert Darmbeschwerden

Eine dänische Studie, bei der die Proband:innen sich acht Wochen lang glutenarm und acht Wochen lang glutenreich ernährten, zeigte: Bei der Reduzierung von Gluten kam es zu weniger Darmbeschwerden wie beispielsweise Blähungen. Die Darmflora zeigte Veränderungen und es kam zu einem leichten Gewichtsverlust (Hansen et al., 2018). Das Ergebnis deutet darauf hin, dass selbst gesunde Menschen Darmbeschwerden über eine glutenarme Ernährung verbessern könnten.

Warum immer mehr Menschen Gluten nicht vertragen

Nur etwa ein Prozent der Weltbevölkerung sind von einer Glutenintoleranz betroffen, doch die Zahl steigt stetig. Das bestätigt das Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie (Pronin et al., 2020). Die Forschenden stellten sich die Frage, ob moderner Weizen mehr Gluten enthalte als historische Sorten.

Überraschenderweise zeigte sich, dass der Glutengehalt konstant blieb und Stoffe, die für Unverträglichkeit sorgen können, sogar weniger vorkommen. Woran die steigende Zahl an Glutenintoleranzen liegt, konnte in der Studie nicht geklärt werden. Ausgeschlossen ist jedoch, dass mehr Gluten in der heutigen Nahrung vorkommt (Pronin et al., 2020).

Fazit: Nicht voreilig Gluten vom Speiseplan streichen

Eine glutenfreie Ernährung schützt nicht vor Krankheiten und bringt für Gesunde keinen Zusatznutzen, wie die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung erklärt (SGE, 2019). Eindeutig ist die Datenlage dennoch nicht.

Bei Verdacht auf eine Glutenunverträglichkeit empfiehlt sich immer eine Abklärung durch eine Ärztin oder einen Arzt. Denn an Verdauungsbeschwerden muss nicht das Gluten schuld sein. Wer vorschnell auf Gluten verzichtet, erschwert damit eine genaue Diagnose.

Quellen

Croall, I. D., Aziz, I., Trott, N., Tosi, P., Hoggard, N., Sanders, D. S. (2019). Gluten Does Not Induce Gastrointestinal Symptoms in Healthy Volunteers: A Double-Blind Randomized Placebo Trial. Gastroenterology, 157(3), 881-883. doi:10.1053/j.gastro.2019.05.015.
Hansen, L. B. S., Roager, H. M., Søndertoft, N. B. et al. (2018). low-gluten diet induces changes in the intestinal microbiome of healthy Danish adults. Nature Communications, 9(1):4630. doi:10.1038/s41467-018-07019-x.
IG Zöliakie der Deutschen Schweiz (2018). Stellungnahme der IG Zöliakie zu Schnelltests. Verfügbar unter: https://www.zoeliakie.ch/de/zoeliakie/was-ist-zoeliakie.html.
Jamnik, J., García-Bailo, B., Borchers, C. H., El-Sohemy, A. (2015). Gluten Intake Is Positively Associated with Plasma α2-Macroglobulin in Young Adults. Journal of Nutrition, 145(6):1256-62. doi:10.3945/jn.115.212829.
Lebwohl, B., Cao, Y., Zong, G. et al. (2017). Long term gluten consumption in adults without celiac disease and risk of coronary heart disease: prospective cohort study. BMJ, 357:j1892. doi:10.1136/bmj.j1892.
Littlejohns, T. J., Chong, A. Y., Allen, N. E. et al. (2021). Genetic, lifestyle, and health-related characteristics of adults without celiac disease who follow a gluten-free diet: a population-based study of 124,447 participants. The American Journal of Clinical Nutrition, 113(3):622-629. doi:10.1093/ajcn/nqaa291.
Priven, M., Baum, J., Vieira, E., Fung, T., Herbold, N. (2015). The Influence of a Factitious Free-From Food Product Label on Consumer Perceptions of Healthfulness. Journal of the Academy of Nutrition and Dietetics, 115(11):1808-14. doi:10.1016/j.jand.2015.03.013.
Pronin, D., Börner, A., Weber, H., Scherf, K. A. (2020). Wheat (Triticum aestivum L.) Breeding from 1891 to 2010 Contributed to Increasing Yield and Glutenin Contents but Decreasing Protein and Gliadin Contents. Journal of Agricultural and Food Chemistry, 68(46):13247-13256. doi:10.1021/acs.jafc.0c02815.
Rotondi Aufiero, V., Fasano, A., Mazzarella, G. (2018). Non-Celiac Gluten Sensitivity: How Its Gut Immune Activation and Potential Dietary Management Differ from Celiac Disease. Molecular Nutrition and Food Research, 62(9):e1700854. doi:10.1002/mnfr.201700854.
Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (2019). Gluten. Verfügbar unter: https://www.sge-ssn.ch/media/Merkblatt_Gluten-2019-1.pdf.
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