Willst du ein besseres Gedächtnis? Schlaf drüber!

gedächtnis

Die Frage, wie der Schlaf zum Lernen und Gedächtnis beitragen kann, ist alt. Heute findet die Wissenschaft immer mehr Hinweise, wie Schlaf Lernen und Gedächtnis fördert.

Die Wichtigkeit des Schlafes erkannte schon der römische Rhetoriker Quintilian (ca. 35 – 98 n.Chr.): «Das, was du zuerst nicht wiederholen konntest, kannst du am nächsten Tag leicht wieder zusammensetzen und gerade die Zeit, die man allgemein mit Vergessen verbindet, stärkt das Gedächtnis.» (nach Stickgold, 2005).

Wie beeinflusst Schlaf das Gedächtnis konkret?

Zahlreiche Tier- und Humanstudien deuten darauf hin, dass Quantität und Qualität des Schlafs einen tiefgreifenden Einfluss auf Lernen und Gedächtnis haben. Als Beispiel für eine neuere Untersuchung sei die Arbeit von Klinzing, Niethard und Born (2019) angeführt, in der sich Versuchspersonen einen Satz Karten merken sollten. Danach bekamen alle 40 min. Pause, in der die eine Gruppe schlief; die andere wach blieb. Bei der Prüfung, wie viele Karten sich die Teilnehmenden gemerkt hatten, wusste die «Wachgruppe» nur noch 60 % der Karten, die «Schlafgruppe» jedoch 85 %. Acht Stunden später war der Unterschied sogar noch grösser: Die «Wachgruppe» erinnerte sich an weniger als 20 %, die «Schlafgruppe» an fast 60 % der Karten.

Früher herrschte die Ansicht vor, dass der Schlaf das Gedächtnis lediglich vor Störungen durch äussere Reize schützt. Heute wissen wir sicher, dass Schlafen auch eine aktive Rolle beim Einprägen und bei der Festigung von Gedächtnisinhalten (der Konsolidierung) spielt, und zwar sowohl vor als auch nach dem Lernen neuer Aufgaben. Dabei beeinflusst der Schlaf Lernen und Gedächtnis auf zwei Arten (Björn-Rasch & Born, 2013):

  • Schlafmangel beeinträchtigt die Fähigkeit einer Person, sich zu konzentrieren und effizient zu lernen.
  • Schlaf ist notwendig, um ein Gedächtnis zu konsolidieren (zu festigen), damit es in der Zukunft abgerufen werden kann.

Es ist logisch, dass bei Schlafentzug Konzentration, Aufmerksamkeit und Wachsamkeit nachlassen. Wegen Übermüdung kann man sich nicht optimal fokussieren und daher nicht effizient lernen, was trivial ist. Im folgenden wird auf den zweiten Punkt fokussiert: die Gedächtniskonsolidierung.

Gedächtnisarten und Schlafphasen

Es gibt mehrere Arten von Gedächtnis – faktenbasiertes, episodisches und prozedurales. Denk zum Beispiel an die Hauptstadt Frankreichs, was du gestern zu Abend gegessen hast oder wie man Velo fährt. Alle drei Erinnerungen erfordern Informationen, die du gelernt und gespeichert hast, aber sie stellen sehr unterschiedliche Arten von Gedächtnis dar. Erinnerungen werden meist unterteilt in deklarative Erinnerungen, also solche, die man sich bewusst ins Gedächtnis rufen kann (z. B. Paris bzw. das gestrige Abendessen) und nicht-deklarative Erinnerungen, also solche, die normalerweise ohne bewusste Erinnerung verwendet werden (z. B. Velo fahren oder Klavier spielen).

Für die unterschiedlichen Arten von Erinnerungen sind verschiedene Gedächtnissysteme zuständig, die in verschiedenen Hirnregionen angesiedelt sind. Allen gemeinsam ist aber: Damit das Gedächtnis funktioniert, müssen drei Prozesse richtig ablaufen (Dimitriu, 2019):

  • Akquisition: Du lernst oder erlebst etwas Neues.
  • Konsolidierung: Die neuen Informationen werden in deinem Gehirn dauerhaft gespeichert.
  • Abruf: Du hast Zugriff auf die gespeicherten Informationen (bewusst oder unbewusst).

Wie das genau funktioniert, ist leider immer noch nicht ganz klar, aber Akquisition und Abruf der Informationen finden vorwiegend im Wachzustand statt. Die Konsolidierung der Gedächtnisinhalte – unabhängig von der Art des Gedächtnisses – scheint zu einem Grossteil im Schlaf stattzufinden, interessanterweise in zwei bestimmten Phasen des Schlafes.

Unser Schlaf lässt sich nämlich, z. B. durch hirnelektrische Ströme (EEG-Wellen), in verschiedene Phasen einteilen, von denen hier zwei wichtig sind:

  • Rapid-Eye-Movement-Schlaf (REM-Schlaf) ist ein Stadium des Schlafs, das durch schnelle Bewegungen der Augen gekennzeichnet ist und in dem am häufigsten geträumt wird.
  • Slow-Wave-Schlaf (SWS) ist der tiefe, erholsame Schlaf (mit langsamen Hirnwellen im EEG).

Nach einer Hypothese entsteht die Konsolidierung von Gedächtnisinhalten dadurch, dass neuronale Schaltkreise, die durch kürzlich gelernte Muster aktiviert wurden, während des SWS reaktiviert werden und in das Langzeitgedächtnis integriert werden. Der anschliessende REM-Schlaf kann die transformierten Erinnerungen stabilisieren (Stickgold & Walker, 2007; Björn-Rasch & Born, 2013).

Andere Studien haben ergeben, dass der REM-Schlaf anscheinend an deklarativen Erinnerungen beteiligt ist, wenn die Informationen komplex und emotional aufgeladen sind (Flitterwochen in Paris), aber wahrscheinlich nicht, wenn die Informationen einfach und emotional neutral sind (Was gab’s zum Mittagessen). Auch für die Konsolidierung des prozeduralen Gedächtnisses (Velo fahren oder Klavier spielen) scheint der REM-Schlaf eine entscheidende Rolle zu spielen (Wassing et al., 2019).

Der Schlaf ist dein Freund

Wir finden zwar immer mehr, was der Schlaf mit unserem Gehirn macht, trotzdem gibt es noch viele offene Fragen. Eins ist aber klar: Ein gesunder Schlaf ist nicht nur, aber auch sehr wichtig für das Lernen und das Erinnern an das Gelernte. Besonders wenn du durch einen Arbeitstermin oder eine Prüfung gestresst bist und dadurch weniger schläfst, hilft es daran zu denken: Der Schlaf ist kein Zeitdieb, sondern dein Freund.

Quellen

Björn Rasch B. & Born J. (2013). About Sleep's Role in Memory. Physiol Rev. 93: 681–766. doi:10.1152/physrev.00032.2012
Dimitriu A. (2019) Sleep and Memory: How They Work Together. New research indicates a poor night’s sleep negatively impacts brain function. Psychology today. Verfügbar unter: https://www.psychologytoday.com/us/blog/psychiatry-and-sleep/201908/sleep-and-memory-how-they-work-together
Harvard Health Publishing. (2009) Insomnia: Restoring Restful Sleep. Verfügbar unter: https://www.health.harvard.edu/staying-healthy/insomnia-restoring-restful-sleep
Klinzing, J.G., Niethard, N. & Born, J. (2019). Mechanisms of systems memory consolidation during sleep. Nat Neurosci 22, 1598–1610. doi:10.1038/s41593-019-0467-3
Stickgold R & Walker MP. (2007). Sleep-dependent memory consolidation and reconsolidation. Sleep Medicine. 8: 331–43. doi:10.1016/j.sleep.2007.03.011.
Stickgold R. (2005) Sleep-dependent memory consolidation. Nature 437; 1272-1278. doi:10.1038/nature04286
Wassing R. et al. (2019). Restless REM Sleep Impedes Overnight Amygdala Adaptation. Curr Biol. 29: 2351-2358. doi:10.1016/j.cub.2019.06.034
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