Ist Sport zu treiben besser vor oder nach dem Lernen?

Viele Studien haben gezeigt, dass regelmässige körperliche Bewegung die kognitiven Funktionen, das Lernen und das Gedächtnis verbessert, und zwar bei Kindern, Jugendlichen und älteren Menschen. Es mangelt bisher an Studien, die den akuten Effekt einer einzelnen, körperlichen Aktivität auf Lernen und Gedächtnis untersuchten. Hat sportliche Aktivität direkt vor oder nach dem Lernen einen positiven, negativen oder gar keinen Effekt? Und ist dabei die Dauer der Übung, die Intensität oder die Art der bewerteten kognitiven Leistung entscheidend?

Sport verbessert die geistige Gesundheit, aber wie?

Schon lange ist bekannt, dass körperliche Bewegung die geistige Gesundheit und die kognitiven Funktionen verbessert. Kinder, die regelmässig Sport treiben, schneiden bei Tests zu Gedächtnis und kognitiven Funktionen besser ab als Kinder, die keinen Sport treiben (Hillman, Erickson und Kramer. 2008). Regelmässige Bewegung erhöht die Mikrostrukturen in der weissen Substanz des Corpus callosum; das ist der so genannte Balken, eine Gehirnstruktur, über die Informationen zwischen den beiden Gehirnhälften laufen, was für die Kognition und Verhalten sehr wichtig ist (Chaddock-Heyman et al., 2018).

Bei all dem geht es um regelmässige sportliche Betätigung. Wenig bekannt war bisher, welchen Effekt eine einzelne, körperliche Aktivität auf Lernen und Gedächtnis hat. Hat sportliche Aktivität direkt vor oder nach dem Lernen einen positiven, negativen oder gar keinen Effekt? Peter Blomstrand und Jan Engvall (2021) werteten systematisch die aktuelle Literatur aus und konnten zeigen, dass aerobes, körperliches Training vor dem Enkodieren die Lern- und Gedächtnisfunktionen bei jungen Erwachsenen (hauptsächlich Universitätsstudenten) verbessert.

Unter Enkodieren versteht die Gedächtnisforschung den ersten Prozess des Gedächtnisses, also die bewusste oder unbewusste Einspeicherung von mentalen Inhalten in das Gedächtnis.

Die beiden Forscher analysierten dazu dreizehn Studien an jungen Menschen, in denen der Einfluss einzelner „Bewegungsreize“ (Gehen, Laufen oder Radfahren) auf Gedächtnis und Lernen untersucht wurden.  Die Dauer des Übungsreizes variierte zwischen 2 min (1 Studie), 15 min (3 Studien) 30 min (4 Studien) und 60 min (1 Studie). Zwei Studien untersuchten die Auswirkungen bei Trainings unterschiedlicher Dauer (10–60 min). Die Intensität der Übungen variierte von leicht, über moderat bis kräftig.

Auch ein einmaliger Trainingsschub hilft

Wie die Analyse ergab, werden nach einem einzigen Trainingsreiz gleich mehrere kognitive Funktionen verbessert, die beim Lernen wichtig sein können, u.a.:

  • Aufmerksamkeit,
  • Konzentration,
  • Arbeitsgedächtnis, Kurzzeitgedächtnis, Langzeitgedächtnis,
  • verbale Gewandtheit
  • die Fähigkeit zur Problemlösung.

Nicht verbessert werden das räumliche Gedächtnis oder die Objekterkennung. Eine kurze, fünfminütige Erholungsphase vor der Enkodierung verbesserte die Gedächtnisfunktionen. Die Effekte blieben für 30 bis 120 Minuten nach dem Training bestehen.

Interessanterweise hat ein Training vor der Kodierungsphase des Lernens einen positiven Effekt, während Training unmittelbar nach dem Lernen (also während der Konsolidierungsphase) eher ungünstig ist. (Labban und Etnier, 2018; Frith, Sng und Loprinzi, 2017)

Wie lange und wie viel Training ist effektiv?

Wie die Auswertung der Studien ergab, zeigen Trainingseinheiten von 10 bis 60 min Dauer einen positiven Effekt. Bei der Frage nach der optimalen Intensität gab es allerdings widersprüchliche Ergebnisse: Eine Studie fand Belege dafür, dass hochintensives Training vorzuziehen ist, die andere fand moderate Intensität am besten.

Crush und Loprinzi (2017) verglichen Erholungszeiten von 5 bis 30 min und fanden heraus, dass eine kurze Erholungszeit von 5 min vor dem Enkodieren den günstigsten Effekt auf die Gedächtnisfunktionen hat.

Eine Studie empfiehlt vor dem Enkodieren ein Fahrradtraining aus 5 min Aufwärmen, 20 min Training mit moderater Intensität und 5 min Abkühlung (Chang et al., 2015). Allerdings, um optimale Übungsstrategien zur Verbesserung von Lernen und Gedächtnis zu identifizieren, sind wahrscheinlich noch weitere Studien mit gezielten Fragestellungen erforderlich.

Zusammenfassend zeigen die Studien, dass ein einmaliger „Schub“ mit aerobem Training, gefolgt von einer kurzen (5 min) Erholungsphase vor dem Enkodieren, die Aufmerksamkeit, das Konzentrationslernen und das Langzeitgedächtnis verbessert.

Quellen

Blomstrand P, Engvall J. (2021). Effects of a single exercise workout on memory and learning functions in young adults—A systematic review. Transl Sports Med. 4: 115–127. doi 10.1002/tsm2.190
Chaddock-Heyman L, Erickson KI, Kienzler C et al. (2018). Physical activity increases white matter microstructure in children. Front Neurosci. 12: 950.
Chang YK, Chu CH, Wang CC et al. (2015). Dose-response relation between exercise duration and cognition. Med Sci Sports Exerc. 47: 159-165.
Crush EA & Loprinzi PD. (2017). Dose-response effects of exercise duration and recovery on cognitive functioning. Percept Mot Skills 124: 1164-1193.
Frith E, Sng E, Loprinzi PD. (2017). Randomized controlled trial evaluating the temporal effects of high-intensity exercise on learning, short-term and long-term memory, and prospective memory. Eur J Neurosci. 46: 2557-2564.
Hillman CH, Erickson KI, Kramer AF. (2008). Be smart, exercise your heart: exercise effects on brain and cognition. Nat Rev Neurosci. 9: 58–65.
Labban JD, Etnier JL. (2018). The effect of acute exercise on encoding and consolidation of long-term memory. J Sport Exerc Psychol. 40: 336-342.
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