Bauernhof-Effekt: Warum sind die auf dem Land gesünder?

Frau mit Cowboyhut, jagt die Farm Kuh Pille gegen Allergien

Schon seit etwa 100 Jahren ist der so genannte Bauernhof-Effekt bekannt. Er besagt, dass Menschen, die auf dem Land leben, seltener an Allergien und Asthma leiden als Städter. In den letzten Jahren hat die Wissenschaft herausgefunden, woran das liegt, und jetzt hat eine österreichische Allergologin mit ihrem Team eine Art „Kuhstall-Pille“ entwickelt, die diesen Bauernhof-Effekt ausnutzt. Ob diese Entdeckung den vielen Allergiegeplagten Linderung bringen kann?

Wer auf dem Land, besonders in der unmittelbaren Umgebung eines Bauernhofs mit traditioneller Rinderhaltung lebt, hat ein deutlich geringeres Risiko, Allergien und Asthma zu entwickeln als Stadtmenschen. Dieser so genannte Bauernhof-Effekt ist schon lange bekannt, wurde bereitsin zahlreichen Studien weltweit belegt und früher sogar therapeutisch genutzt (Klimek, Vogelberg & Werfel, 2019; Lluis A. et al., 2014).

 

Nachweise für den Bauernhof-Effekt

Dass ein ländliches Umfeld zu den vor Allergien schützenden Umgebungsfaktoren gehört, ist in vielen Studien weltweit belegt. So zeigte eine Studie an Bauernhof-Kindern in der Schweiz und anderen europäischen Ländern, dass Kinder, die auf einem Bauernhof aufgewachsen sind, eine deutlich geringere Allergieneigung hatten – 5% vs. 10% der Stadtkinder (Klimek, Vogelberg & Werfel, 2019).

 

Bauernhof-Therapien

Bereits in den 1920er Jahren hat man sich den Bauernhof-Effekt zur Behandlung von Menschen mit Allergien und Asthma zunutze gemacht. In alpinen Kurorten errichteten Kliniken Schlafsäle direkt über Kuhställen. Durch Öffnungen im Boden konnten die Patient:innen während des Schlafens die Stallluft einatmen. Ausserdem gab man Asthma- und Allergiepatient:innen warme, unbehandelte Rohmilch zu trinken (Gassner-Bachmann, Wüthrich, 2000).

 

Was steckt hinter dem Bauernhof-Effekt?

Lange ging die Allergologie davon aus, dass spezielle Mikroorganismen oder einfach die grössere Menge und Vielfalt von Bakterien und anderen Keimen auf dem Land das Immunsystem „abhärten“ – die so genannte „Hygiene-Hypothese“. Das könnte zwar auch zutreffen, doch hatte ein österreichisches Forschungsteam um die Allergologin Prof. Dr. Erika Jensen-Jarolim eine neue Idee: Sie beobachteten nämlich, dass der Bauernhof-Effekt nur etwa 300 Meter um einen Kuhstall nachweisbar ist und dann immer mehr abnimmt, bis er ab etwa 500m verschwindet. Diese Beobachtung spricht für einen Stoff, der im Kuhstall entsteht und sich über die Luft ausbreitetet (Jensen‐Jarolim et al., 2006)

 

Ein Protein liegt in der Luft

Tatsächlich entdeckte das Forschungsteam in der Umgebungsluft sowie im Staub der untersuchten Kuhställe ein bestimmtes Protein, das für diesen Effekt wahrscheinlich verantwortlich ist (Jensen‐Jarolim et al., 2006). Es war das bereits bekannte Beta-Lactoglobulin (BLG). BLG ist das Hauptprotein in der Kuhmilch, wird von Rindern aber auch über den Urin ausgeschieden. Wenn wir also Kuhstallluft einatmen oder Milch trinken nehmen wir BLG auf.

BLG hat nun eine interessante Eigenschaft: Es kann ein Allergen sein, also Allergien auslösen. Wenn du gegen Milchprodukte allergisch bist, kann das am BLG liegen. Auf dem Bauernhof scheint es jedoch vor Allergien zu schützen. Wie kann das sein?

Bekannt ist, dass BLG wie eine Art Tasche aufgebaut ist. Wie die österreichischen Forscher:innen nun herausfanden, kann dieses Protein in zwei Formen vorliegen: Als Apo-BLG mit leerer Tasche wirkt das Protein allergen (warum ist noch unklar). Als Holo-BLG mit gefüllter Tasche scheint es jedoch vor Allergien zu schützen. Die Wissenschaftlerin Jensen-Jarolim und ihre Kolleg:innen (2006) vermuteten, dass das Holo-BLG bestimmte Mikronährstoffe als Liganden in seiner Tasche trägt und diese gezielt zu bestimmten Zellen des Immunsystems bringt. Dadurch kann es die Widerstandsfähigkeit des Immunsystems stärken. Dieses antwortet daraufhin nicht mehr auf harmlose Stoffe mit einer überschiessenden (allergischen) Reaktion – die Allergologie spricht von „Immunresilienz“ (Roth-Walther et al., 2020).

 

Die Kuhstallpille gegen Heuschnupfen und Hausstaub-Allergie

Aus diesen Erkenntnissen der Grundlagenforschung ist eine Tablette entstanden – im Laborjargon „Kuhstall-Pille“ genannt (Roth-Walter et al., 2018). Sie enthält BLG, das aus Rohmilch isoliert und mit den Mikronährstoffen Eisen, Vitamin A und Zink «beladen» wird. Erste Studien mit diesem Präparat haben tatsächlich schon vielversprechende Ergebnisse gebracht:

Mehrere Studien mit Menschen, die an starker Pollen- oder Hausstaub-Allergie leiden zeigen den beschriebenen positiven Effekt, wenn die Kuhstall-Pille als Kur, einige Zeit vor dem Kontakt mit den Allergenen eingenommen wird. Auch an der Medizinischen Universität Wien wurden in den Jahren 2019 und 2020 Studien mit Menschen, die auf Birkenpollen allergisch reagieren, durchgeführt. Auch hier liess sich eine deutliche Beruhigung der allergischen Symptome während der Pollenflugzeit nachweisen (Bartosik et al., 2020).

Auch das Europäische Zentrum für Allergieforschung (ECARF) hat an der Charité, Berlin, eine Studie mit Menschen, die gegen Hausstaubmilben allergisch sind, durchgeführt. Auch diese Studie brachte vielversprechende Ergebnisse: Nach 3-monatiger Einnahme der Kuhstall-Pille zeigte sich eine deutliche Verbesserung der allergischen Symptome in Nase, Augen und Atmungsorganen (Bergmann et al., 2021). „Diese Ergebnisse sind in ihrer Art weltweit bisher einmalig“, sagt der Studienleiter, Lungenfacharzt und Allergologe Prof. Bergmann (2021).

 

Anmerkung: Warum nicht einfach Kuhmilch trinken?

Das mit Liganden beladene Holo-BLG ist nur in (unverarbeiteter) Rohmilch vorhanden oder in der Stallluft. In handelsüblicher, verarbeiteter Mich, findet sich zwar auch BLG, es wird aber beim Pasteurisieren der Milch verändert und hat keine Tasche mehr. Der Verzehr von Rohmilch wiederum ist wegen einer möglichen Keimbelastung nicht unbedenklich.

 

Spezielles Kuh-Protein reduziert Allergien

Es gibt zahlreiche Studien, dass Landbewohner seltener an Allergien leiden als Stadtbewohner. Dafür scheint nicht nur die bessere Abhärtung des Immunsystems durch die höhere Keimzahl auf dem Land verantwortlich zu sein, sondern auch ein spezielles Protein, das von Kühen ausgeschieden wird und z. B. in der Milch zu finden ist.

Quellen

Bartosik T et al. (2020). Dietary supplementation with a new immune tablet ameliorates human symptom load during birch pollen season: lower B‑cell numbers yet with higher intracellular iron. EAACI Congress 2020. Abstract 1213.
Bergmann KC et al. (2021). Targeted micronutrition via holo-BLG based on the farm effect in house dust mite allergic rhinoconjunctivitis patients – first evaluation in a standardized allergen exposure chamber. Allergo J Int. doi:10.1007/s40629-021-00163-9.
Gassner-Bachmann M, Wüthrich B. (2000). Bauernkinder leiden selten an Heuschnupfen und Asthma. Deutsche Medizinische Wochenschrift. doi:10.1055/s-2000-6778.
Jensen‐Jarolim E et al. (2006). Structural similarities of human and mammalian lipocalins, and their function in innate immunity and allergy. Allergy 7; 286-294. doi:10.1111/all.12797
Klimek L, Vogelberg C & Werfel T. (2019). Weißbuch Allergie in Deutschland (4. Auflage): Springer Medizin Verlag, Heidelberg.
Lluis A et al. (2014). Protection Against Allergy: Study in Rural Environments Study Group. Increased regulatory T-cell numbers are associated with farm milk exposure and lower atopic sensitization and asthma in childhood.  J Allergy Clin Immunol. 133; 551-9. doi:10.1016/j.jaci.2013.06.034
Roth-Walter F et al. (2018). Clinical efficacy of sublingual immunotherapy is associated with restoration of steady-state serum lipocalin 2 after SLIT: a pilot study. World Allergy Organ J. 11; 21. doi:10.1186/s40413-018-0201-8
Roth-Walther F et al. (2020). Cow’s milk protein β-lactoglobulin confers resilience against allergy by targeting complexed iron into immune cells. J Allergy Clin Immunol 147; 321-334. doi:10.1016/j.jaci.2020.05.023
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