Bringt Jogging oder Gehirnjogging das Gehirn mehr auf Trab?

Frau macht sport

Schlechtes Gedächtnis? Konzentrations- oder Aufmerksamkeitsprobleme? Die Frage ist: Ist Sport oder Spielkonsole besser, um geistig fit zu bleiben? Hier erfährst du, was die Wissenschaft dazu herausgefunden hat.

Bei der Frage, wie das Gehirn auch mit den Jahren fit bleibt, gibt es hauptsächlich Vertreter von drei Richtungen:

  1. die Verfechter des Gehirnjoggings, heute fast immer mithilfe elektronischer Medien, bekannt ist z. B. Neuronation.com oder Dr. Kawashimas Gehirnjogging
  2. diejenigen, die unterschiedliche Arten und Mengen von Sport am effektivsten finden, und
  3. die Hersteller und Händler verschiedener Arznei- und Nahrungsergänzungsmittel, am bekanntesten vielleicht Ginkgo und die B-Vitamine.

Letzteres ist zwar ein Multimillionengeschäft, aber die Vielfalt von Ginkgo & Co. ist fast unüberschaubar und viel zu komplex für einen einzelnen Text. Konzentrieren wir uns also auf die Frage:

Ist Sport oder Spielen an Computer und Spielkonsole besser fürs Gehirn?

Es gibt zahllose Studien, welche entweder die Effekte von Gehirnjogging oder die von körperlichen Übungen auf verschiedene Aspekte der kognitiven Leistungsfähigkeit analysieren. Wir wollen uns hier auf die wenigen Studien konzentrieren, die die Effekte beider Übungsarten direkt und unter denselben Bedingungen verglichen. Dazu gibt es einige jüngere und ältere wissenschaftliche Arbeiten, die aber nichts an Aktualität eingebüsst haben.

Vermutlich die erste dieser Art Studien stammt von der Psychiaterin Isabella Heuser-Collier und ihrem Team an der Berliner Charité. Sie untersuchten bei älteren Frauen, ob und in welchem Ausmass geistige und körperliche Aktivitäten die kognitive Leistung steigern können (Klusmann et al., 2012). Ausgewählt wurden 259 Teilnehmerinnen, über 70 Jahre alt, die körperlich und geistig gesund waren und sich vorher weder mit Computern beschäftigt hatten, noch Sport trieben. Die Frauen wurden nach dem Zufallsprinzip in drei Gruppen eingeteilt: In der Computergruppe sollten die Frauen lernen, mit Computer und Internet umzugehen. In der Bewegungsgruppe trainierten die Frauen sportliche Übungen. Die dritte Gruppe war die Kontrollgruppe, die keine Übungen machte.

Sport- und Computerkurse im Vergleich

Die Sport- und Computer-Kurse fanden innerhalb von 6 Monaten etwa dreimal pro Woche statt und dauerten jeweils 90 min. Das Bewegungsprogramm der Sportgruppe bestand aus einem aeroben Fitnessprogramm, das sowohl Ausdauer, Kraft und auch Flexibilität trainierte und zudem Gleichgewichts- und Koordinationsübungen umfasste (Fahrradergometer, Hanteltraining, Ballspiele, Tanz usw.) Der Computerkurs behandelte heterogene und facettenreiche Themen, wie kreative Aufgaben und auch Übungen, die Koordination und Gedächtnis erforderten (z. B. den Umgang mit Soft- und Hardware, Bild- und Videobearbeitung, Spiele, Texterstellung und Internetnutzung). Beide Kurse wurden von speziell angelernten Betreuern geleitet. Die Kontrollgruppe nahm an keinem der Kurse teil und sollte ihre Leben so wie bisher weiterführen. Vor und nach dem Projekt wurde die geistige Leistungsfähigkeit aller Frauen anhand von sieben wissenschaftlichen Tests gemessen.

Üben ist besser als Nichts (tun)

Erwartungsgemäss führten sowohl der Sport- wie der Computerkurs (die so genannten Interventionsgruppen) zu positiven Effekten bei der geistigen Leistungsfähigkeit. Das heisst, einige kognitive Parameter verbesserten sich in den Interventionsgruppen, während sie in der Kontrollgruppe unverändert blieben. Andere kognitive Parameter verschlechterten sich in der Kontrollgruppe, blieben aber in den Interventionsgruppen während des Untersuchungszeitraums konstant. Sowohl die körperliche Aktivierung in der Sportgruppe wie die geistige Aktivierung in der Computergruppe hatten also einen positiven Effekt auf die mentale Leistungsfähigkeit der Teilnehmerinnen. Überraschenderweise zeigten sich aber keinerlei Unterschiede in der Wirksamkeit von Computer- und Sporttraining, beides war gleich effektiv fürs Gehirn.

Sport und Spiele helfen

Heute geht man davon aus, dass beides, sowohl körperliche Aktivität wie geistige Stimulation, wichtig ist, um die geistigen Fähigkeiten zu schützen und Demenz abzuwehren. Aber ist die eine Aktivität effektiver als die andere? «Das ist schwer zu sagen, denn die meisten Studien haben sich mit dieser speziellen Frage nicht beschäftigt», sagt Dr. Scott McGinnis, Dozent für Neurologie an der Harvard Medical School (Harvard Health Publishing, 2020). Belege gibt es für beides.

Nach McGinnis haben viele Studien gezeigt, dass regelmässiger Sport das Gehirnvolumen in Regionen vergrößern kann, die für Gedächtnis und Denken wichtig sind. Es gibt eine Anzahl von Mechanismen, die dafür verantwortlich sein können, so wie die Stimulierung des Blutflusses, das Wachstums neuer Blutgefässe oder Gehirnzellen und mehr.

Es gibt aber auch reichlich Beweise dafür, dass geistige Aktivität die kognitive Gesundheit erhält. So fand z. B. eine Studie, die 2012 in der Fachzeitschrift Neurology veröffentlicht wurde, einen direkten Zusammenhang zwischen kognitiver Aktivität (wie Zeitung lesen oder Schach spielen) und dem Niveau der kognitiven Funktion im folgenden Jahr. Auch die Psychiaterin Isabella Heuser erklärt die Ergebnisse ihrer oben beschriebenen Arbeit damit, dass vor allem der Neuigkeitswert und die geistige Stimulation durch der für die Frauen völlig ungewohnten Tätigkeiten (sportliche Betätigung und Computerarbeit) für die positiven Effekte auf die Kognition entscheidend gewesen seien.

Für das Gehirn scheint es also gleichgültig zu sein, ob man sich nur körperlich oder nur geistig aktiv hält – für die körperliche Fitness und Gesundheit gilt das natürlich nicht. Ausserdem waren die Trainings in der anfangs besprochenen Studie sehr abwechslungsreich und fanden in einem sozialen Rahmen stattfand, was schon allein förderlich fürs Gehirn ist. Mit den üblichen Gehirnjogging-Übungen ist das nicht vergleichbar. Sudoku, Kreuzworträtsel & Co. mögen Spass machen, aber sie trainieren hauptsächlich oder ausschliesslich die Fähigkeit(en), die für die jeweilige Übung benötigt wird, und sonst nichts – auch dafür gibt es zahlreiche wissenschaftliche Belege.

Was solltest du für deine Gehirngesundheit tun?

Am besten nutzt du also den Gehirnschutz, den eine Kombination aus geistigen und körperlichen Aktivitäten bietet. Für den sportlichen Teil reicht schon eine bescheidene Menge an aerobem Training aus, um positive kognitive Ergebnisse zu erzielen. In vielen Studien brachten bereits 20 Minuten mässig intensives Gehen an drei Tagen pro Woche einen Effekt. (Mehr bringt auch nicht mehr – fürs Gehirn, für die Kondition schon.)

Für die geistige Aktivierung solltest du irgendetwas geistig Anregendes tun, das dir bereits Spaß macht (das motiviert). Das können Gesellschaftsspiele sein, Lesen, die Teilnahme an einem Verein, Modellbau oder eine Unzahl anderer Aktivitäten. Wichtig ist nur, dass die Aktivitäten aktives geistiges Engagement erfordern und nicht rein passives Konsumieren wie z. B. Fernsehen.

Quellen

Harvard Health Publishing. (2020). Physical vs. mental activity. Which is better to keep your brain fit? Verfügbar unter: [https://www.health.harvard.edu/mind-and-mood/physical-vs-mental-activity](https://www.health.harvard.edu/mind-and-mood/physical-vs-mental-activity)
Klusmann V., Evers A., Schwarzer R., Heuser I. (2011). Activity experiences shape perceived fitness trajectories: results from a 6-month randomized controlled trial in older women. Aging Neuropsychol. 18:328-39. doi:10.1080/13825585.2011.553272
Wilson R.S., Segawa E., Boyle P.A., Bennett D.A. (2012). Influence of late-life cognitive activity on cognitive health. Neurology. 78: 1123-1129; doi:10.1212/WNL.0b013e31824f8c03
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