Vergebung ist gut fürs Herz

Vergebung tut gut

Ja und Amen? Vergeben und Vergessen? Kommen Menschen, die Schicksalsschläge dankbar als Lektionen des Lebens annehmen und widerfahrenes Unrecht vergeben wirklich besser weg? Die Wissenschaft zeigt auf, was Dankbarkeit und Vergebung wirklich für Körper und Geist tun.

Wie glücklich du bist, hängt unter anderem damit zusammen, wie du mit deiner Vergangenheit umgehst. Wenn du auf dein Leben zurückblickst, gibt es sicherlich einiges, für das du dankbar sein kannst, und anderes, das schlichtweg keinen Dank verdient. Denkt man genauer darüber nach, kommt man oft zu dem Schluss, dass man sich glücklicher schätzen könnte, als man es im Allgemeinen tut. Sicherlich gibt es aber auch einige Dinge, die nur schwer zu verzeihen sind. Doch die Mühe könnte sich lohnen, denn die Forschung zeigt, dass Dankbarkeit und Vergebung ganz konkrete, positive Effekte auf Körper und Geist haben.

Wichtige Befunde

  • Wie wir über unsere eigene Vergangenheit denken und fühlen, wirkt sich nicht nur auf unser Glück, sondern auch auf unsere Gesundheit aus.
  • Vergebung ist gut für das Herz: weniger Stress, weniger Angst, ein geringerer Blutdruck und eine niedrigere Herzrate.
  • Dankbarkeit ist vor allem in Krisenzeiten ein wirksames Schutzschild, wenn man an Sinn und Bedeutung des eigenen Lebens zweifelt.
  • Übungen, um die Vergangenheit mehr wertzuschätzen oder nicht mehr durch sie belastet zu werden, beinhalten vor allem das bewusste Durcharbeiten dessen, wofür man dankbar sein und was man vergeben kann.

Wie Vergebung wirkt

Vergebung ist nicht nur ein Zeichen von Nächstenliebe, sondern ein Akt der Selbstfürsorge.

Vergib anderen nicht nur, weil sie dich um Vergebung bitten, sondern auch, um dich selbst vor den körperlichen und seelischen Folgen von Trauer, Wut und Schmerz zu schützen. Nicht zu verzeihen kommt nämlich einer permanenten Stressreaktion gleich, was Angst und Depression steigert (Griffin et al. 2015). Vergebung ist das Gegenmittel.

Dr. Loren Toussaint und Kollegen (2014; 2016) haben gemessen, wie sich vergeben und nicht vergeben am Arbeitsplatz auswirkt. Die Ergebnisse sind sowohl für die Arbeitnehmer:innen, als auch die Arbeitgeber:innen von grosser Bedeutung: Geschieht ein Unrecht und Mitarbeitende verzeihen einander nicht, sinkt die Produktivität. Es kann sogar zu Arbeitsausfällen wegen der negativen Emotionen und des Stresses kommen. Wird sich hingegen darum bemüht, dass einander wieder vergeben wird, werden auch die negativen Effekte aufgehoben.

Eine Übersichtsstudie von über 100 Studien mit insgesamt über 26’000 Teilnehmenden (Rasmussen et al., 2018) hat den Zusammenhang von Vergebung und Gesundheit im Detail verglichen. Robuste positive Auswirkungen von Vergebung lassen sich vor allem für den Blutdruck und die Herzrate nachweisen und in etwas geringerem Masse für psychosomatische Leiden – sprich für körperliche Leiden, die durch psychischen Stress verursacht werden. Auf das geistige Wohlbefinden hat Vergebung eine ganze Bandbreite positiver Effekte einschliesslich weniger Angst, weniger Depression und weniger Stress. Im Vergleich ist der positive Effekt auf die geistige Gesundheit ungefähr doppelt so gross wie auf die körperliche Gesundheit. Zudem scheint es, dass anderen zu vergeben doppelt so wirksam ist, wie sich selbst zu vergeben.

Wie man wirksam vergibt

Therapeuten:innen und Wissenschaftler:innen habe eine ganze Reihe an Übungen und Strategien entwickelt, die man selbst oder angeleitet durchführen kann (Akhtar & Barlow, 2018). Ein Ansatz, der sich mit vielen anderen deckt, ist das REACH Modell der Vergebung (Worthington, 2006). REACH bedeutet im Englischen jemandem die Hand zu reichen, steht hier aber als Akronym für einen Fünf-Schritte-Plan der Vergebung:

  1. Recall: Erinnere dich an das erfahrene Unrecht, das dir zugestossen ist, und die Emotionen, die du damit verbindest.
  2. Empathy: Versuche, dich in die damalige Lage der Person zu versetzen, der du vergeben möchtest und versuche die Umstände nachzuvollziehen, die zu dem Fehlverhalten beigetragen haben könnten. Dabei ist wichtig, dass du das Verhalten der Person weder verurteilst noch entschuldigst.
  3. Altruism: Erinnere dich voller Demut an eine Situation, in der dir vergeben wurde und übertrage diese Gefühle der Vergebung in einem Akt der Nächstenliebe auf die Person, der du vergeben möchtest.
  4. Commitment: Erhebe den Anspruch, deine Entscheidung zu vergeben nicht mehr zurückzunehmen. Es hilft, diese Entscheidung schriftlich festzuhalten, zum Beispiel in einem Brief oder einer Urkunde.
  5. Hold on: Überlege dir im Voraus, wie du in Zukunft mit Situationen umgehen kannst, die das dir widerfahren Unrecht schmerzlich ins Gedächtnis rufen, damit du langfristig an deiner Entscheidung zu vergeben festhalten kannst.

Es scheint, dass es Männern generell schwerer fällt zu verzeihen (Miller & Worthington Jr., 2015), aber umso wichtiger ist es, dass gerade diese sich darin üben. Die Entwickler:innen des REACH Models empfehlen, die Strategie gleich mehrmals anzuwenden. Denn je öfter du die fünf Schritte durchläufst, desto leichter werden sie dir fallen und desto weniger emotionaler Ballast belastet dein Herz.

Ein Dankeschön ist noch keine Dankbarkeit

Im Alltag begegnet uns Dankbarkeit im höflichen Umgang miteinander. Oft ist Dankbarkeit dabei eher ein flüchtiges Gefühl oder ein Verhalten in Reaktion auf einen Gefallen, der uns getan wurde. In der Wissenschaft geht es eher um Dankbarkeit als eine andauernde Geisteshaltung, die beeinflusst, wie wir die Vergangenheit verarbeiten und die Gegenwart wahrnehmen.

In vielerlei Hinsicht steht die Forschung zur Beziehung von Dankbarkeit und vor allem körperlicher Gesundheit noch ganz am Anfang. Ein 2017 durchgeführter Vergleich von 38 Studien mit über 200 untersuchten Effekten hat viele vorangegangene Befunde infrage gestellt (Dickens, 2017). Trotzdem gibt es aus neuerer Zeit eine Reihe vielversprechender Ergebnisse, wie z. B. jene, dass Dankbarkeit wiederholt mit besserem Schlaf assoziiert wurde (Boggiss et al., 2020).

Eine andere Studie (Gallagher, Solano, & Liporace, 2020) hat untersucht, wie Dankbarkeit die Stressresistenz des Herz-Kreislauf-Systems beeinflusst. Es zeigte sich, dass der Herzschlag der Probanden:innen, die dankbar auf die vergangene Woche zurückblickten, unter Stress weniger stark anstieg, als der Herzschlag derjenigen, die der letzten Woche nichts abgewinnen konnten. Dankbarkeit scheint also dabei zu helfen, die Ruhe zu bewahren.

Wie wirksam Dankbarkeit als psychisches Schutzschild sein kann, zeigt sich aber noch viel deutlicher an Extremfällen: Zum Beispiel habe Veteranen:innen ein besonders hohes Risiko, unter Depression, Trauma, sozialen Ängsten und Nikotinabhängigkeit zu leiden und Selbstmordgedanken zu haben. Wie eine Studie an über 3000 amerikanischen Veteranen:innen (McGuire et al., 2021) belegen konnte, war die Wahrscheinlichkeit mit den unterschiedlichen Folgen kämpfen zu müssen, je nach Leiden zwischen 35-86% geringer, wenn die Veteranen:innen mit Dankbarkeit auf ihre Dienstzeit zurückschauen konnten.

Der Befund, dass dankbare Veteranen:innen mehr Sinn in ihrem Leben sehen und ein geringeres Risiko haben, Selbstmord zu begehen, passt auch zu einer Studie an psychiatrischen Patienten und Patientinnen (Schnitker et al. 2021), die gezeigt hat, dass Dankbarkeit das Risiko mindert, Selbstmord zu begehen, wenn an Sinn und Bedeutung des Lebens gezweifelt wird.

Übe dich in Dankbarkeit

In der Sportpsychologie gewinnt Dankbarkeit mit Blick auf die sportlichen Leistungen einzelner Athletinnen und Athleten sowie von Teams an Bedeutung, die Dr. Nicole Gabana (2019) so zusammenfasst: Sportler:innen, die sich neben dem Training auch in Dankbarkeit üben, steigern ihr Mitgefühl für sich selbst, ihre Teamkameraden:innen und Mitmenschen. Den eigenen Leistungen und den Leistungen anderer Anerkennung zu schenken, schützt vor Burn-out und dem psychologischen Stress, wie er durch Rückschläge in Wettkämpfen oder durch Verletzungen verursacht wird. Darüber hinaus – so Dr. Gabana – fördert Dankbarkeit das Zusammengehörigkeitsgefühl eines Teams und wie sehr sich Teammitglieder aufeinander verlassen. Nicht zuletzt steigert es die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen auch über das eigene Team hinaus und setzt dadurch soziale Ressourcen, wie die Unterstützung durch Freunde und Familie, frei.

Übungen wie Dankbarkeitslisten, -tagebücher und -briefe erfordern, dass man sich ganz konkrete Gedanken darüber macht, für welche Erfahrung aus der näheren oder ferneren Vergangenheit man besonders dankbar ist und diese zu verschriftlichen. Solche regelmässigen Übungen zielen darauf ab, den Widrigkeiten des Lebens nach und nach ganz automatisch eine positive Seite abzugewinnen. Letztlich soll Dankbarkeit nicht nur eine Reaktion auf das Gute sein, das uns widerfährt, sondern eine Strategie, um den Herausforderungen des Lebens zu begegnen, indem man sie in ein neues, positiveres Licht stellt.

Quellen

Akhtar, S., & Barlow, J. (2018, January 1). Forgiveness Therapy for the Promotion of Mental Well-Being: A Systematic Review and Meta-Analysis. Trauma, Violence, and Abuse. SAGE Publications Ltd. doi:10.1177/1524838016637079
Boggiss, A. L., Consedine, N. S., Brenton-Peters, J. M., Hofman, P. L., & Serlachius, A. S. (2020, August 1). A systematic review of gratitude interventions: Effects on physical health and health behaviors. Journal of Psychosomatic Research. Elsevier Inc. doi:10.1016/j.jpsychores.2020.110165
Dickens, L. R. (2017). Using Gratitude to Promote Positive Change: A Series of Meta-Analyses Investigating the Effectiveness of Gratitude Interventions. Basic and Applied Social Psychology, 39(4), 193–208. doi10.1080/01973533.2017.1323638
Gabana, N. T. (2019). Gratitude in Sport: Positive Psychology for Athletes and Implications for Mental Health, Well-Being, and Performance. In Theoretical Approaches to Multi-Cultural Positive Psychological Interventions (pp. 345–370). Springer International Publishing. doi:10.1007/978-3-030-20583-6_15
Gallagher, S., Solano, A. C., & Liporace, M. F. (2020). State, but not trait gratitude is associated with cardiovascular responses to acute psychological stress. Physiology and Behavior, 221, 112896. doi:10.1016/j.physbeh.2020.112896
Griffin, B. J., Worthington, E. L., Lavelock, C. R., Wade, N. G., & Hoyt, W. T. (2015). Forgiveness and Mental Health. In Forgiveness and Health (pp. 77–90). Springer Netherlands. doi:10.1007/978-94-017-9993-5_6
McGuire, A. P., Fogle, B. M., Tsai, J., Southwick, S. M., & Pietrzak, R. H. (2021). Dispositional gratitude and mental health in the U.S. veteran population: Results from the National Health and Resilience Veterans Study. Journal of Psychiatric Research, 135, 279–288. doi:10.1016/j.jpsychires.2021.01.020
Rasmussen, K. R., Stackhouse, M., Boon, S. D., Comstock, K., & Ross, R. (2019). Meta-analytic connections between forgiveness and health: the moderating effects of forgiveness-related distinctions. Psychology and Health, 34(5), 515–534. doi:10.1080/08870446.2018.1545906
Schnitker, S. A., Currier, J. M., Abernethy, A. D., Witvliet, C. vanOyen, Foster, J. D., Root Luna, L. M., … Carter, J. (2021). Gratitude and patience moderate meaning struggles and suicidal risk in a cross‐sectional study of inpatients at a Christian psychiatric hospital. Journal of Personality, jopy.12644. doi:10.1111/jopy.12644
Toussaint, L., Shields, G. S., Dorn, G., & Slavich, G. M. (2016). Effects of lifetime stress exposure on mental and physical health in young adulthood: How stress degrades and forgiveness protects health. Journal of Health Psychology, 21(6), 1004–1014. doi:10.1177/1359105314544132
Toussaint, L., Worthington, E. L., Van Tongeren, D. R., Hook, J., Berry, J. W., Shivy, V. A., … Davis, D. E. (2018). Forgiveness Working: Forgiveness, Health, and Productivity in the Workplace. American Journal of Health Promotion, 32(1), 59–67. doi:10.1177/0890117116662312
Worthington, E. L. (2014). Forgiveness and reconciliation: Theory and application. Forgiveness and Reconciliation: Theory and Application. Routledge Taylor & Francis Group. doi:10.4324/9780203942734
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