Mikronährstoffe zum Gedächtnis verbessern? | 2021

Kann eine Pille das Gedächtnis verbessern oder die Gehirnfunktion steigern? Es gibt einen riesigen Markt an Arznei- und Ergänzungsmitteln, die das Gehirn, das Gedächtnis oder andere kognitive Fähigkeiten «unterstützen» oder «verbessern» sollen. Bekannt als „Brain Booster“ oder „Smart Drugs“ sind nach Milic et al. (2021) vor allem einige der B-Vitamine und die Antioxidantien wie Vitamin C, Vitamin E und Coenzym Q10. Aber auch für pflanzliche Präparate wird viel geworben, vor allem Ginkgo und Kurkuma und – last but not least – das Fischöl (mit Omega-3-Fettsäuren).

Gedächtnis verbessern durch Ergänzungsmittel

Sehen wir uns an, ob es wissenschaftlichen Belege gibt, dass diese „Cognitive Enhancer“ tatsächlich die geistige Leistungsfähigkeit erhalten oder das Gedächtnis verbessern können. Am Schluss folgt noch eine Alternative „ohne Pillen“.

B-Vitamine verjüngen das Gehirn

Die B-Vitamine (der Vitamin-B-Komplex) stellen keine einheitliche Klasse dar, sondern sind eine Vitamingruppe aus acht verschiedenen Substanzen.  Als wichtig für Gehirn und Nervensystem und zur Verbesserung des Gedächtnisses gelten vor allem die Vitamine B6, B9 (Folsäure) und B12. Tatsächlich gibt es einige Hinweise für die Wirksamkeit der B-Vitamine:

In einer Studie der Oxford University wurden 250 Menschen (Alter 61-87) mit leichten kognitiven Einschränkungen in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine erhielt täglich einen Vitamin B-Komplex (B6, B9, B12) zusammen mit Omega-3-Fettsäuren, die andere erhielt Placebo. Ergebnis: die Versuchspersonen mit Omega-3 und Vitamin-B-Komplex schnitten nach zwei Jahren besser in kognitiven Test ab als die Placebo-Gruppe. Auch das Schrumpfen des Gehirns war in der Vitamin-B-Gruppe verzögert. Das deutet darauf hin, dass sich die B-Vitamine und die Omega-3-Fettsäuren ergänzen. (Rathod, Kale & Joshi, 2016).

Auch die regelmässige Einnahme von Folsäure kann die Leistung des Gehirns verbessern, wie ein niederländisches Forscherteam in einer dreijährigen Studie zeigen. Untersucht wurden die kognitiven Fähigkeiten von 818 Versuchspersonen im Alter von 50 bis 75 Jahren. Die Probanden wurden in zwei Gruppen eingeteilt: Die erste Gruppe erhielt drei Jahre lang täglich 800 Mikrogramm Folsäure, die andere Placebo. Bei verschiedenen kognitiven Tests schnitten die Probanden der Folsäure-Gruppe nach drei Jahren besser ab als die Placebogruppe. Ihre Leistungen waren im Schnitt mit denen von zwei bis fünf Jahre jüngeren Menschen vergleichbar. (McGarel et al., 2015)

Beim Thema geistige Fitness und Gehirngesundheit wird Vitamin B12 am häufigsten genannt. Das liegt unter anderem daran, dass Vitamin-B12-Mangel zu verschiedenen psychischen und neurologischen Erkrankungen führen kann (wie Schlafstörungen, Depressionen, Angstzuständen, Konzentrationsproblemen usw.). (Moore et al., 2012)

Eine normale, ausgewogene Ernährung deckt bei Gesunden völlig den Bedarf des Stoffwechsels an den B-Vitaminen, wie Vitamin B12. Etwa 50% des Vitamins werden über Fleisch und Wurstwaren und weitere 30% über Milch, Milchprodukte und Eier dem Körper zugeführt. Bei Älteren kann Vitamin-B12- Mangel jedoch ein Problem sein. Auch Personen mit rein veganer Ernährung oder Magen-Darmerkrankungen, Diabetes etc. haben ein erhöhtes Risiko für einen Vitamin-B-Mangel. Wenn ein solcher Vitaminmangel besteht, kann das sehr gravierende Folgen haben. (Langan und Goodbred, 2017)

Wirkt Vitamin C auf das Gehirn?

Vitamin C (chem. Ascorbinsäure) ist das wohl bekannteste Vitamin vor allem als das Vitamin gegen Erkältungen (was wissenschaftlich aber nicht belegt ist). Vitamin C hat antioxidative Eigenschaften und wirkt als Radikalfänger. Das bedeutet, es eliminiert die so genannten freien Radikale, hochreaktive, aggressive Stoffe, die im Körper im Rahmen des normalen Stoffwechsels entstehen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Substanzen kann Vitamin C die Blut-Hirn-Schranke überwinden, gelangt also aus dem Blut direkt zu den Nervenzellen. Eine neuroprotektive (also die Nervenzellen vor schädlichen Einflüssen schützende) Wirkung von Vitamin C wäre wegen der antioxidativen Eigenschaften dieses Vitamins wahrscheinlich und naheliegend. Studien zur Wirkung von Vitamin C aufs Gehirn wurden hauptsächlich an Versuchstieren durchgeführt, zur Wirkung auf Gedächtnis oder andere kognitive Funktionen beim Menschen ist nichts Überzeugendes zu finden. (Lykkesfeldt und Poulsen, 2010)

Vitamin E fördert das gesunde Gehirn im Alter

Vitamin E gehört zu den fettlöslichen Vitaminen und kann in unterschiedlichen Formen vorliegen – am bekanntesten ist das Alpha-Tocopherol. Wie Vitamin C ist auch Vitamin E ein Radikalfänger, der zellschädigende Stoffe in ungefährliche Substanzen umwandeln kann. Vitamin E schützt die Zellen also vor oxidativem Stress. Dieser nimmt im Alter zu und spielt anscheinend auch eine Rolle bei verschiedenen Erkrankungen.

Unter den Studien, die den Effekt von Vitamin E auf die kognitive Leistungsfähigkeit untersuchen, ist wahrscheinlich eine Übersichtsarbeit von Fata, Weber und Mohajeri (2014) am interessantesten. Das Autorenteam kommt zu dem Schluss, dass hohe Vitamin-E-Konzentrationen im Blut sehr wahrscheinlich mit einer Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit und einem verminderten Alzheimer-Risiko verbunden sind. Zwar können nicht alle Studien diese Effekte nachweisen, aber – so das Fazit: „Die positiven Effekte, die in den zitierten Studien gemessen wurden, (…), sprechen für Vitamin-E als Nahrungsergänzung zur Förderung eines gesunden Gehirns im Alter und zur Verzögerung des Alzheimer-bedingten geistigen Abbaus.“

Coenzym Q10, die Anti-Aging-Substanz

Coenzym Q10 oder Ubichinon-10 wird vom Körper produziert und gilt als Anti-Aging-Substanz. Denn 1) wirkt es als Antioxidans und 2) sorgt es dafür, dass die Zellen – einfach gesagt – genug Energie haben. Deshalb kommt es vor allem in Organen mit hohem Energiebedarf vor: Gehirn, Herz oder Leber. (Garrido-Maraver et al., 2014)

Supplemente mit Q10 haben wahrscheinlich einige positive Eigenschaften, vor allem, wenn ein Q10-Mangel vorliegt. Wie beim Vitamin C wird argumentiert, dass Q10 wegen seiner antioxidativen und energieliefernden Eigenschaften auch für die kognitive Leistungsfähigkeit förderlich sein könnte. Denn das Gehirn ist wegen seines hohen Fettsäuregehalts und seines hohen Sauerstoffbedarfs sehr anfällig für oxidative Schäden. Die dabei entstehenden freien Radikale können das Gedächtnis, die Kognition und andere Funktionen beeinträchtigen. Coenzym Q10 soll diese schädlichen Verbindungen reduzieren und so möglicherweise den mentalen Abbau verhindern oder verlangsamen. Tatsächlich gibt es einige Studien, die die Wirksamkeit von Coenzym-Q10-Supplementen auf neurodegenerative Erkrankungen, wie Parkinson, zeigen. (Hernández-Camacho et al., 2018)

Mit Ginkgo gegen das Vergessen?

Blattextrakte des chinesischen Fächerbaums (Ginkgo biloba) werden in Arznei- und Nahrungsergänzungsmitteln verwendet, da ihnen positive Wirkungen auf Gedächtnis und andere kognitive Funktionen zugeschrieben werden. Ginkgo gehört zu den am intensivsten untersuchten Phytopharmaka. Und in der Tat scheinen die Flavonoide und Terpenoide in Ginkgo-Blättern die Durchblutung zu fördern (nicht nur im Gehirn). Ob sich diese Eigenschaft aber positiv auf die geistige Leistungsfähigkeit von Demenzkranken oder sogar gesunden Menschen auswirkt, dazu gibt es sehr viele, aber leider auch unterschiedliche Studienergebnisse. Vor allem lässt sich aufgrund unzureichender Daten nicht eindeutig sagen, ob Ginkgo vorbeugend gegen geistigen Abbau hilft. (Haolong, Min und Hongzhu, 2020)

Omega-3 ist sicher gesund, aber auch fürs Gehirn?

Fischöl bzw. den darin enthaltenen Omega-3-Fettsäuren wird eine ganze Reihe gesundheitlich positiver Eigenschaften nachgesagt. Mehrere systematische Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen haben die Auswirkungen einer Omega-3-Ergänzung im Vergleich zu Placebo auf die kognitive Funktion und Demenz untersucht. Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass Omega-3 bestimmte Aspekte der kognitiven Funktion (Aufmerksamkeit, Verarbeitungsgeschwindigkeit und Gedächtnis) verbessern kann. Besonders bei leichten kognitiven Einschränkungen (MCI) könnte Omega-3 von Vorteil sein. Es hat aber wohl wenig Einfluss auf die kognitiven Funktionen bei gesunden Erwachsenen. (Siehe hierzu auch Vitamin B.)

Für mehr Informationen zu Omega-3 siehe meinen Text: „Omega-3-Fettsäuren – sind sie wirklich Wunderwaffen?“ (https://heyfolk.com/omega-3-sind-sie-wirklich-wunderwaffen/)

Kurkuma (Curcurmin), die gelbe Geheimwaffe?

Kurkuma, das bekannte gelbe Gewürz aus der asiatischen Küche, enthält als Hauptsubstanz Curcumin. In Kurkuma lassen sich entzündungshemmende und antioxidative Eigenschaften nachweisen. Bereits 2016 erschien im British Journal of Nurition eine Studie, in der die Autoren zu dem Schluss, dass Kurkuma einen neuroprotektiven, also einen schützenden Effekt auf Nervenzellen hat und sich auf Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis und Stimmung positiv auswirkt. (Rainey-Smith et al., 2016)

Jedoch haben nur wenige klinische Studien die Wirkung von Curcumin auf die kognitiven Funktionen des Menschen untersucht, und die Ergebnisse dieser Studien sind widersprüchlich, so das Ergebnis einer neue Übersichtsarbeit von Berry et al. (2021). Während einige Studien keine kognitiv steigernden Effekte von Curcumin berichten, deuten andere Daten auf positive Effekte dieser Substanz auf die kognitive Funktion hin.

Zu beachten ist auch, dass die Curcuminoide kaum wasserlöslich sind und schlecht vom Körper aufgenommen (resorbiert), schnell abgebaut (metabolisiert) und auch schnell wieder ausgeschieden werden. Die so genannte Bioverfügbarkeit von Curcumin ist also nicht sehr hoch. Ausserdem enthält die Gelbwurzel nur 2 bis 5% Curcuminoide. Das bedeutet, die gemahlene Wurzel (im Gewürzpulver) oder Kurkuma- bzw. Gelbwurzel-Tee oder Kurkuma-Shots dürften gesundheitlich wenig bringen.

Geht’s auch ohne Pillen?

Wenn du ganz ohne Pillen geistig fit bleiben willst, kannst du etwas tun, das nachweislich hilft, Geist und Gedächtnis fit zu halten: Die beste Empfehlung ist 1) die so genannte mediterrane Ernährung und 2) regelmässige körperliche Bewegung. Mehrere umfangreiche Studien mit Tausenden von Teilnehmern haben gezeigt, dass diese beiden Punkte den kognitiven Verfall und Demenz vorbeugen und auch einen bereits vorhandenen kognitiven Verfall verlangsamen können.

Fazit

Von den besprochenen Brain-Boostern sind die B-Vitamine, Vitamin E und eventuell Ginkgo wahrscheinlich sinnvoll für Gehirn und Gedächtnis. Vitamin C, Coenzym Q10 und Fischöl könnten hilfreich sein, bei Curcumin kommt es auf die Darreichung (Bioverfügbarkeit) an. Am besten ist immer noch gesunde Ernährung und genügend Bewegung.

Quellen

Berry A, Collacchi B, Masella R, Varì R, Cirulli F. (2021). Curcuma Longa, the “Golden Spice” to Counteract Neuroinflammaging and Cognitive Decline—What Have We Learned and What Needs to Be Done. Nutrients, 13, 1519. doi: 10.3390/nu13051519
Fata, G. L., Weber P., Mohajeri M.H. (2014). Effects of Vitamin E on Cognitive Performance during Ageing and in Alzheimer’s Disease" Nutrients 6, 5453-5472. doi: 10.3390/nu6125453
Garrido-Maraver J, Cordero MD, Oropesa-Ávila M, et al. (2014). Coenzyme q10 therapy. Mol Syndromol, 5,187-197. doi:10.1159/000360101
Haolong L., Min Y., Hongzhu G. (2020). An Updated Review of Randomized Clinical Trials Testing the Improvement of Cognitive Function of Ginkgo biloba Extract in Healthy People and Alzheimer’s Patients. Frontiers in Pharmacology, 10, 1688. doi: 10.3389/fphar.2019.01688
Hernández-Camacho J.D., Bernier M., López-Lluch G., Navas P. (2018). Coenzyme Q10 Supplementation in Aging and Disease. Frontiers in Physiology, 9, 44. doi: 10.3389/fphys.2018.00044
Langan, R.C. & Goodbred A.J. (2017). Vitamin B12 Deficiency: Recognition and Management. Am Fam Physician. 96, 384-389.
Lykkesfeldt, J., & Poulsen, H. (2010). Is vitamin C supplementation beneficial? Lessons learned from randomised controlled trials. British Journal of Nutrition, 103, 1251-1259. doi:10.1017/S0007114509993229
McGarel, C., Pentieva, K., Strain, J., & McNulty, H. (2015). Emerging roles for folate and related B-vitamins in brain health across the lifecycle. Proceedings of the Nutrition Society, 74, 46-55. doi: 10.1017/S0029665114001554
Milić J., Zeković J, Stankić D, Henčić B, Jančić J, Samardžić J. (2021) Cognition-enhancing drugs and applications to aging. The Neuroscience of Aging. 2021, S. 367-378. doi 10.1016/B978-0-12-818000-6.00033-0
Moore, E., Mander, A., Ames, D., Carne, R., Sanders, K., & Watters, D. (2012). Cognitive impairment and vitamin B12: A review. International Psychogeriatrics, 24(4), 541-556. doi:10.1017/S1041610211002511
Rainey-Smith, S., Brown, B., Sohrabi, H., Shah, T., Goozee, K., Gupta, V., & Martins, R. (2016). Curcumin and cognition: A randomised, placebo-controlled, double-blind study of community-dwelling older adults. British Journal of Nutrition, 115, 2106-2113. doi:10.1017/S0007114516001203
Rathod, R., Kale, A. & Joshi, S. (2016). Novel insights into the effect of vitamin B12 and omega-3 fatty acids on brain function. J Biomed Sci 23, 17. doi: 10.1186/s12929-016-0241-8
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