Mehr Zukunft durch realistischen Optimismus

Junger Mann, der fröhlich und optimistisch in die Luft springt

Auch in Fragen, die Auslegungssache sind, interessiert sich die Wissenschaft für Fakten. Optimismus und Pessimismus weichen beide von der Realität ab, aber welche Einstellung bringt dich im Leben weiter?

Kurz vor seinem frühen Tod erzählt der Abenteurer und Journalist Jack London 1913 in seiner Autobiografie “John Barelycorn” von seinem Alkoholismus. Er unterscheidet dabei zwischen einer pessimistischen, aber realistischen “weissen Logik” des Alkoholikers, die letztlich in den Tod führt, und einer etwas naiven, aber eben dem Leben zugewandten Logik des Nüchternen. Muss man wirklich in einer Fantasiewelt leben, um länger zu leben?

Ob du das Glas – sei es mit oder ohne Alkohol – halb voll oder halb leer siehst, kann tatsächlich einen Unterschied machen. Allerdings muss klar bleiben, wie viel Flüssigkeit verbleibt. Im Streit um die positiven und negativen Auswirkungen von Optimismus und Pessimismus hängt vieles daran, ob der Blick in die Zukunft realistisch bleibt. Entgegen Jack Londons Bild, spielt Realismus als eine dritte Variable eine wichtige Rolle, die von Pessimismus unabhängig ist.

Gesunder Optimismus?

  • Ob Optimismus oder Pessimismus besser für die Gesundheit ist, hängt vor allem davon ab, ob das Bild von der Zukunft realistisch bleibt.
  • Bleiben die eigenen Erwartungen realistisch, gibt es tatsächlich so etwas wie “gesunden Optimismus”, denn:
  • Gesunde Optimisten fühlen sich mehr in Kontrolle und kümmern sich entsprechend proaktiv um ihre Gesundheit.

Bleib realistisch

Eine Vergleichsstudie (Craig et al., 2021) zum Verhältnis von Optimismus, Pessimismus und allgemeinem Sterberisiko verglich 25 Studien mit insgesamt knapp über 217’000 gesunden und kranken Teilnehmer:innen im Alter von 18 bis 93 Jahren. Zusammengenommen sprechen die verschiedenen Befunde dafür, dass Optimismus mit einem geringeren und Pessimismus mit einem höheren Sterberisiko zusammenhängen. Die Forscher schätzten, dass mit jedem Schritt auf der Optimismus-Skala das Sterberisiko um knapp 15 % sinkt.

Allerdings muss diese Aussage insofern qualifiziert werden, als dass realitätsferner Optimismus auch wieder das Sterberisiko erhöht – und zwar deutlich: einer Studie zufolge um über 300 % (Chipperfield, et al., 2019). Der Grund ist vermutlich, dass echte Gefahren dann nicht erkannt oder schlichtweg ignoriert werden. Im Fall von schlechter Gesundheit und hohem Alter zum Beispiel (Lang, Weiß, Gerstorf, & Wagner, 2013) kann es sogar vorteilhaft sein realistisch-pessimistische Erwartungen zu hegen. Einerseits, um sich vor grossen Enttäuschungen zu schützen, andererseits, weil man dann eher dazu geneigt ist, den Umständen entsprechend vorsorglich zu handeln. Lieber einmal mehr zum Arzt als einmal zu wenig. Ähnlich argumentieren die Autoren eines Artikels zur Verbesserung der Lebensqualität von Patientinnen und Patienten auf Intensivpflegestation (Turnbull et al., 2020) gegen unbegründeten Optimismus und positives Denken. Stattdessen empfehlen sie, sich über bestehende Unsicherheiten und Risiken zu informieren und realistische Erwartungen zu formen. Das erlaubt, sich dann auch über kleinste Fortschritte freuen zu können. Zuversichtlichkeit fusst man also am besten auf Fakten.

Eine Frage des Blickwinkels

In seinem Buch *[Der Glücks-Faktor – Warum Optimisten länger leben](https://www.amazon.de/Glücks-Faktor-Warum-Optimisten-länger-leben/dp/3404605489#:~:text=Ein bereicherndes%2C wertvolles Buch%2C das,zu leben%2C bewegt jeden Menschen.&text=ans Licht heben.-,Dieses Buch%2C wunderbar leicht geschrieben%2C ist ein,überaus praktischer und anschaulicher Ratgeber.)* schreibt Professor Martin Seligman, dass der Unterschied zwischen Optimisten und Pessimisten darin wurzelt, ob das Eintreten eines Ereignisses als Ausnahme von der Regel gesehen wird oder als dessen Bestätigung. Optimisten erwarten, dass die Dinge im Allgemeinen gut ausgehen und Misserfolge eben die Ausnahmen von der Regel sind. Pessimist hingegen glauben umgekehrt generell nicht an ein Happy End und schreiben überraschende Erfolge glücklichen Umständen oder dem Zufall zu.

Wichtig zu verstehen ist, dass weder die eine noch die andere Haltung wirklichkeitsnaher ist. Allerdings kann gezeigt werden, dass sich Gesundheitsoptimisten in Kontrolle ihrer eigenen Gesundheit fühlen und sich tatsächlich auch gesünder verhalten, während Gesundheitspessimisten dazu neigen, sich weniger Kontrolle über ihre Gesundheit zu nehmen (Ruthig et al., 2011). Entsprechend erfüllen sich die jeweiligen Erwartungen über die eigene Gesundheit wie von selbst. Mach’ dir diesen Umstand zunutze und schaue der Zukunft zuversichtlicher entgegen, ohne dabei die Wirklichkeit aus den Augen zu verlieren. Das Leben ist voller Risiken und Gefahren, aber ebenso voller Chancen und Möglichkeiten.

Quellen

Chipperfield, J. G., Hamm, J. M., Perry, R. P., Parker, P. C., Ruthig, J. C., & Lang, F. R. (2019). A healthy dose of realism: The role of optimistic and pessimistic expectations when facing a downward spiral in health. Social Science and Medicine, 232, 444–452. doi:10.1016/j.socscimed.2018.08.030
Craig, H., Freak-Poli, R., Phyo, A. Z. Z., Ryan, J., & Gasevic, D. (2021). The association of optimism and pessimism and all-cause mortality: A systematic review. *Personality and Individual Differences*, *177*, 110788. doi:10.1016/j.paid.2021.110788
Lang, F. R., Weiss, D., Gerstorf, D., & Wagner, G. G. (2013). Forecasting life satisfaction across adulthood: Benefits of seeing a dark future? Psychology and Aging, 28(1), 249–261. doi:10.1037/a0030797
London, J. (1987). *John Barleycorn oder der Alkohol*. Diogenes Verlag. ISBN: 325721510X
Seligman, M. E. (2011). Der Glücks-Faktor: Warum Optimisten länger leben. Bastei Lübbe. ISBN: 3404605484
Ruthig, J. C., Hanson, B. L., Pedersen, H., Weber, A., & Chipperfield, J. G. (2011). Later life health optimism, pessimism and realism: Psychosocial contributors and health correlates. *Psychology and Health*, *26*(7), 835–853. doi:10.1080/08870446.2010.506574
Turnbull, A. E., Hurley, M. S., Oppenheim, I. M., Hosey, M. M., & Parker, A. M. (2020). Curb your enthusiasm: Definitions, adaptation, and expectations for quality of life in ICU survivorship. *Annals of the American Thoracic Society*, *17*(4), 406–411. doi:10.1513/AnnalsATS.201910-772IP
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