Radikalfänger und Antioxidantien –Mythen und Fakten

Antioxidantien

Die Zellen unseres Körpers sind vielen Bedrohungen ausgesetzt, von Nahrungsmangel bis hin zu Infektionen. Eine weitere permanente Bedrohung geht von Chemikalien aus, die als freie Radikale bekannt sind. Entstehen sie in sehr grossen Mengen, können sie Zellen und Erbgut schädigen. Der Körper erzeugt selbst freie Radikale als unvermeidliche Nebenprodukte bei der Umwandlung von Nahrung in Energie. Freie Radikale bilden sich auch durch Zigarettenrauch, Luftverschmutzung oder Sonnenlicht, ja sogar beim Sport. (NCCIH, 2021) Der Körper braucht Radikalfänger (Antioxidantien), um mit dieser Bedrohung fertig zu werden. Sehen wir uns an, was man über freie Radikale und Radikalfänger (Antioxidantien) weiss.

Was sind freie Radikale?

Freie Radikale sind Moleküle unterschiedlicher Art und Grösse, die immer eines gemeinsam haben: Ihnen fehlen Elektronen und die möchten Sie unbedingt haben. Deswegen „stehlen“ sie von allen Substanzen in der Nähe, die Elektronen abgeben können. Dieser Elektronendiebstahl kann die Struktur oder Funktion des «bestohlenen» Moleküls radikal verändern und dieses schädigen.

Schäden durch freie Radikale können die Erbinformation (DNA) verändern. Sie können dazu führen, dass die Zellmembran geschädigt wird, so dass ihre Durchlässigkeit verändert wird, und vieles mehr. Ein chronischer Überschuss an freien Radikalen verursacht einen Zustand, der als oxidativer Stress bezeichnet wird. Er kann die Zellen schädigen und zu chronischen Krankheiten führen. (Carlsen et al., 2010)

Wir sind den freien Radikalen aber nicht schutzlos ausgeliefert. Unser Organismus stellt viele Moleküle her, die freie Radikale abfangen können, die so genannten Radikalfänger. Körpereigene Radikalfänger sind zum Beispiel die Alpha-Liponsäure, Coenzym Q10 und Glutathion.

Wir können Radikalfänger aber auch mit der Nahrung aufnehmen, in diesem Fall werden sie meist als «Antioxidantien» bezeichnet. Sie geben großzügig Elektronen an freie Radikale ab und machen sie so unschädlich. Antioxidantien sind aber auch an Mechanismen beteiligt, die die DNA reparieren und die Gesundheit der Zellen erhalten.

Neben Alpha-Liponsäure, Coenzym Q10 und Glutathion gibt es wahrscheinlich Tausende von Substanzen, die als Antioxidantien wirken können. Die bekanntesten sind Vitamin C, Vitamin E, Beta-Carotin und andere verwandte Carotinoide sowie die Mineralstoffe Selen und Mangan. Hinzu kommen die Pflanzenstoffe Flavonoide, Phenole, Polyphenole, Phytoöstrogene und viele andere.  Vor allem Obst und Gemüse sind reich an Antioxidantien. Sie dienen wahrscheinlich auch den Pflanzen dazu, die Oxidation zu verhindern oder als natürlicher Schutz gegen Umwelteinflüsse wie z.B. UV-Strahlung.

Bieten Antioxidantien wirklich gesundheitlichen Nutzen?

Antioxidantien rückten in den 1990er Jahren in den öffentlichen Fokus, als die Forschung erkannte, dass freie Radikale an der Entstehung von Arteriosklerose beteiligt sind. Sie wurden auch mit Krebs, Sehkraftverlust und einer Reihe anderer chronischer Erkrankungen in Verbindung gebracht. Einige Studien zeigten, dass Menschen, die wenig Obst und Gemüse essen, ein höheres Risiko für diese chronischen Krankheiten haben als Menschen, die viel davon essen. (Aune et al., 2017) Diesen Effekt führte man auf den Gehalt an Antioxidantien zurück.

In klinischen (randomisierten, placebokontrollierten) Studien wurde die Wirkung einzelner Substanzen gegen bestimmte chronische Krankheiten getestet. Die Ergebnisse waren allerdings gemischt. Die meisten Studien fanden nicht den erhofften Nutzen. Nur einzelne Arbeiten konnten positive Effekte von bestimmten Ergänzungen nachweisen. (z.B. Grodstein et al., 2007; Marchese, 2014)

Heute geht die Wissenschaft davon aus, dass das Paket von Antioxidantien, Mineralien, Ballaststoffen und anderen Substanzen, die von Natur aus in Obst, Gemüse und Vollkornprodukten enthalten sind, zur Vorbeugung einer Reihe von chronischen Krankheiten beiträgt. Unklar ist aber, ob hohe Dosen einzelner Antioxidantien dasselbe bewirken können.

Genauso wenig sollte man irgendwelche Lebensmittel zum „Superfood“ hochstilisieren, nur weil sie größere Mengen an Antioxidantien enthalten. Besonders Kakao, Beeren, Gewürze und Hülsenfrüchte werden in der populären Presse als Krankheitsbekämpfer – von Gehirngesundheit über Herzerkrankungen bis hin zu Krebs – angepriesen, auch wenn die wissenschaftlichen Beweise dafür schwach sind. (Haytowitz, 2007)

Es gibt übrigens auch Arbeiten, die auf mögliche Gefahren von Antioxidantien hindeuten. Hinweise darauf gibt es vor allem aus Studien an starken Rauchern oder Personen, die Asbest ausgesetzt waren, also ein hohes Lungenkrebsrisiko hatten. In zwei Studien erhielten die Proband:innen entweder Beta-Carotin, oder Beta-Carotin mit Vitamin A, worauf eine deutliche Zunahme von Lungenkrebs festgestellt wurde. (Omenn et al., 1997) Nicht alle Studien mit Beta-Carotin zeigen jedoch diese schädliche Wirkung. In der Physicians› Health Study, die nur wenige aktive Raucher umfasste, wurde auch nach 18 Jahren Nachbeobachtung keine Zunahme von Lungenkrebs oder anderen schädlichen Auswirkungen festgestellt. (Hennekens et al., 1996)

Fazit

Ein Übermass an freien Radikalen trägt zu chronischen Krankheiten wie Krebs, Herzerkrankungen, kognitivem Abbau und Sehkraftverlust bei. Es gibt zahlreiche Hinweise, dass der Verzehr von Obst, Gemüse und Vollkornprodukten – die alle reich an natürlichen Antioxidantien und anderen Phytochemikalien – vor vielen Erkrankungen und Geisseln des Alterns schützen kann. Das muss aber nicht automatisch bedeuten, dass auch Antioxidantien, wenn sie aus ihrem natürlichen Kontext herausgenommen werden, das Problem lösen können. Die bisherigen Studien liefern keine eindeutigen Beweise dafür, dass Antioxidantien ganz pauschal eine positive Wirkung haben.

Quellen

Aune D, Giovannucci E, Boffetta P, Fadnes LT, Keum N, Norat T, Greenwood DC, Riboli E, Vatten LJ, Tonstad S. (2017). Fruit and vegetable intake and the risk of cardiovascular disease, total cancer and all-cause mortality—a systematic review and dose-response meta-analysis of prospective studies. International journal of epidemiology; 46(3):1029-56.
Carlsen MH, Halvorsen BL, Holte K, Bøhn SK, Dragland S, Sampson L, Willey C, Senoo H, Umezono Y, Sanada C, Barikmo I. (2010). The total antioxidant content of more than 3100 foods, beverages, spices, herbs and supplements used worldwide. Nutrition journal; 9(1):3.
Grodstein F, Kang JH, Glynn RJ, Cook NR, Gaziano JM. (2007). A randomized trial of beta carotene supplementation and cognitive function in men: the Physicians’ Health Study II. Archives of internal medicine; 167(20):2184-90.
Haytowitz, D.B., Bhagwat, S.A., Prior, R.L., Wu, X., Gebhardt, S.E., Holden, J.M. (2007). Oxygen Radical Absorbance Capacity (ORAC) of Selected Food – 2007. NDL Home Page. Available: http://www.ars.usda.gov/nutrientdata.
Hennekens CH, Buring JE, Manson JE, Stampfer M, Rosner B, Cook NR, Belanger C, LaMotte F, Gaziano JM, Ridker PM, Willett W. (1996). Lack of effect of long-term supplementation with beta carotene on the incidence of malignant neoplasms and cardiovascular disease. New England Journal of Medicine; 334(18):1145-9.
Marchese ME, Kumar R, Colangelo LA, Avila PC, Jacobs DR, Gross M, Sood A, Liu K, Cook-Mills JM. (2014). The vitamin E isoforms α-tocopherol and γ-tocopherol have opposite associations with spirometric parameters: the CARDIA study. Respiratory research; 15(1):31.
NCCIH (National Center for Complementary and Integrative Health). (2021). Antioxidants: In Depth. https://nccih.nih.gov/health/antioxidants/introduction.htm
Omenn GS, Goodman GE, Thornquist MD, Balmes J, Cullen MR, Glass A, Keogh JP, Meyskens Jr FL, Valanis B, Williams Jr JH, Barnhart S. (1996). Effects of a combination of beta carotene and vitamin A on lung cancer and cardiovascular disease. New England journal of medicine; 334(18):1150-5.
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